Bilder zur "HU.PSY" Fachtagung 2022

Fachbeitrag

Humor in der therapeutischen Arbeit

Zu Beginn möchte ich mich kurz vorstellen: Mein Name ist Cordula Stratmann. Nach dem Studium der Sozialarbeit, der Ausbildung zur Systemischen Familientherapeutin und Supervisorin und acht Jahren der Beratungsarbeit mit Familien in den 80er und 90er Jahren wurde meine im Mutterleib bereits angelegte, ausgeprägte Komik von Fachpersonal aus der Medienbranche entdeckt, woraufhin ich nun seit über 20 Jahren in Freiberuflichkeit eine Reihe von Aufgaben als Komikerin, Buchautorin und Bühnenkünstlerin angenommen habe. Dennoch habe ich das therapeutische Arbeiten im kleinen, geschützten Raum in den vergangenen Jahren vermisst, sodass ich mittlerweile wieder in eigener Praxis Menschen in Krisen berate.

In meinem Fall liegt es nahe, dass ich mich mit dem Gedanken auseinandersetze, inwiefern die humorvolle Grundhaltung von einer/einem BeraterIn zur Welt sowie zu seinem eigenen, persönlichen Leben prägend ist für die Menschen. Damit stoße ich auf die Frage, inwiefern die Familien, die Eltern, die Jugendlichen mit dem innersten Kern eines Therapeuten zu tun bekommen sollten. Ist nicht der am professionellsten, am hilfreichsten, der so neutral wie möglich auf die Menschen in ihrer Ratlosigkeit trifft?

Der Begriff „Humor“ stammt aus dem Lateinischen, bedeutet Feuchtigkeit, Flüssigkeit, Saft – also der Stoff, der unseren Organismus erst lebensfähig macht und wir können heute davon ausgehen, dass die meisten von uns mit dieser Information bereits in Berührung gekommen sind.
Wo immer wir dem Begriff des Humors begegnen, immer kommt ihm eine fundamentale Bedeutung zu, stets hat er einen guten Leumund.

In Zusammenhang mit Humor in der Beratung, seiner Einsetzbarkeit und Wirksamkeit stieß ich in der Literatur immer wieder auf die beiden Begriffe „Irritation“ und „Provokation“. Mich interessiert Humor jedoch nicht als Methode so wie man z.B. eine paradoxe Intervention einsetzt. Ich meine Humor als Lebenshaltung, als die Überzeugung, dass er eine unverzichtbare Kraft ist – für unsere ratsuchenden Familien sowie auch für den Berater/die Beraterin selbst.

Wer also Kindern in der Familienberatung Witze erzählt, weil er sich als coole/r BeraterIn anbieten will, der wird diese Kinder nicht gewinnen. Wer mit seinem Herzen erkennt, welches lustige Potenzial das symptomtragende Kind mitbringt, der wird ab der ersten Kontaktaufnahme diesem Kind sich als Stütze und somit der ganzen Familie als Brückenbauer erweisen. Wer lustig IST in der Beratung, der arbeitet mit Humor, wer Humor EINSETZT, der missbraucht ihn – und irritiert die Klienten, was er womöglich bezwecken möchte und was – so konnte ich es nachlesen – manchmal sogar zum Erfolg führen mag. An dieser Stelle rate ich also auch dringend ab von dem Missverständnis, dass, wer auf Irritation setzt, indem er z.B. Ironie anwendet, ein originärer Kenner von Komik sei. Ironie ist dem Zynismus nahe und beide sind Signifikanten für eine Verhärtung und haben mit der konstruktiven Energie von Heiterkeit nichts gemein.
Ich selbst möchte hier allerdings vom instinktiven Humor-
Einsatz in der Beratungsarbeit sprechen, vom Humor als innerer Haltung, als Einladung, den Blick auf die Welt und damit den inneren Raum zu weiten – immer auch mit der Implikation, dass diese Einladung abgelehnt werden kann und ich mich weniger spielerisch meinem Gegenüber widme – um das Angebot wieder zu erneuern, dort, wo ich eine neue Chance dafür sehe. Humorarbeit ist also etwas ganz Bewegliches, wie ein gemeinsamer Tanz, denn: Humorarbeit ist Beziehungsarbeit. Da, wo sie Beziehung stiftet, wo die Einladung also angenommen wird, ist sie segensreich; dort, wo sie irritiert, hatte der/die TherapeutIn kein glückliches Händchen mit dem Zeitpunkt.

Das allerdings muss keinen Schaden bedeuten, wenn man als durchlässiger Mensch und nicht als eine Institution vor dem Klienten sitzt. Wenn ich mit einer scherzhaft gemeinten Äußerung den anderen eher aus- als eingeladen habe, habe ich damit die Gelegenheit, zum Amüsement über mich selbst einzuladen, indem ich aufgreife, dass das durchaus unangenehm ist, dem anderen im falschen Abstand zu begegnen. Damit sind wir ganz schnell bei einem fundamentalen Thema, das ja uns Menschen immer und immer wieder Mühe macht: Der Umgang mit Nähe und Distanz, mit Fehlern und der eigenen Peinlichkeit. In der Beziehungsarbeit, die wir leisten, lassen wir die KlientInnen idealerweise auch an unserem Umgang mit den Momenten teilhaben, die uns selbst nicht genau gelingen. Wir sollten die Ratsuchenden ruhig wissen lassen, dass diese fundamentalen Themen uns auch umtreiben, dass auch wir immer wieder herausgefordert sind – ich nenne das konsistente Durchlässigkeit, diesen schmalen Grat zwischen Durchlässigkeit/Nahbarkeit und eben nicht Distanzlosigkeit.

Neben der Beziehungsarbeit ist es das Erste, was ich als Familientherapeutin innerlich an Arbeit leiste, wenn sich eine Familie oder Einzelne in Not an mich wenden: Ich erforsche, wieviel Förderung die komische Bereitschaft in meinem Gegenüber braucht – und entlasse nach einer Zeit intensiver Arbeit an Ängsten, Verletzungen, Krisen die Menschen bestenfalls mit einem freigelegten Zugang zu ihrer humorvollen Seite, weil sie die allerletzte Retterin in uns sein kann, wenn gerade wieder niemand uns retten kann außer wir selbst.
Ich nehme die Kinder und Eltern, die vor mir sitzen, zutiefst ernst in ihrer Stinkwut, in ihrer Kommunikationswirrnis, in ihrer Verletztheit – und im Laufe der gemeinsamen Arbeit mache ich sie bekannt mit dem Schatz, den sie alle irgendwo in sich tragen, wenn sie sich die Erlaubnis dazu geben.
Das Lachen über sich selbst und das gemeinsame Lachen.
Ich gehe noch einen Schritt weiter: Ich wüsste kein Mittel, keine Methode, keine Haltung, keine Drehung, die in unserer Welt des Miteinanders – und darauf ist jeder Einzelne von uns angewiesen, auf das Miteinander – die heilende und versöhnende Kraft des Humors ersetzen könnte. Es ist mir sehr ernst damit, wenn ich sage, dass die zunehmende Verhärtung in unserer Gesellschaft sich unter anderem darin zeigt, dass den Menschen der Humor im Umgang mit uns selbst und mit dem Anderen fehlt. Insofern ist humorvolles Handeln sogar immer auch politisches Handeln.
Wer in der Krise ist, hat sich häufig festgeguckt und festgedacht in sein Problem. Wir alle neigen in kritischen Zeiten zur Fixierung. Wer mit Humor gesegnet ist, dem fällt es in der Arbeit an sich selbst und seinen Kränkungen leichter, den notwendigen Abstand zu nehmen; der erkennt eher, inwiefern er sich selbst übersteigert ernst nimmt und den anderen nicht mehr sieht.

Mich bewegt in der systemischen Familienarbeit bis heute, dass es in so vielen Sitzungen immer wieder aufs Neue gelingt, aus der Gegnerschaft einzelner Familienmitglieder ein Miteinander zu machen, und zwar über die Entwicklung von Mitgefühl füreinander anhand von Humor, von Heiterkeit. Es hat nicht im Geringsten mit Oberflächlichkeit zu tun, wenn ich Ihnen hier die Grundlage meiner Arbeit nenne: Ich habe SPASS an meinen Klienten! Ich zeige ihnen, selbstverständlich an geeigneter Stelle, dass ich Spaß an ihnen habe. Ich stelle meine Komik und mein Timing zur Verfügung – um danach die ganze Familie mit schallendem Gelächter vor mir sitzen zu haben.
Und ich sehe in diesen Momenten, wie jede/r Einzelne aus ihrer/seiner inneren Gefängniszelle herauskommt, als träten alle Familienmitglieder vor ihr Haus, um zusammen Luft zu schnappen – und ich arbeite mit ihnen daran, dass sie danach gemeinsam ins Wohnzimmer gehen und nicht mehr jede/r in sein/ihr Einzelzimmer.

Wenn wir eine scherzhafte Beschreibung für eine kritische Situation finden, tritt sogleich etwas Versöhnendes in die Menschen, die da vor uns sitzen, weil Augenzwinkern verbindet – so wie eine ausgestreckte Hand. An dieser Stelle möchte ich mich gerne wiederholen, indem ich noch einmal eine deutliche Trennlinie ziehen zwischen dem solidarischen, wärmenden Humoreinsatz, der immer auch eine Einladung darstellt – die Einladung, sich verstanden zu fühlen; die Einladung zum Kontakt; die Einladung, eine Hürde zu nehmen und seine innere Arbeit zu tun; im Unterschied zum Humoreinsatz, der missverstanden werden kann als Belustigung über das Gegenüber oder einem Humoreinsatz, der nur dem Berater/der Beraterin zur Selbstdarstellung dient.
Mit gelungener Humorarbeit machen wir den Ratsuchenden ein Angebot zur Zusammenarbeit, das über das Gefühl von Professionalität hinausgeht: Wir nehmen der Angst die Schärfe und empfangen die belasteten KlientInnen mit Offenheit und Wärme.

Wenn ich mich entschieden habe, eine Familienberatung, nachdem ich alle Mitglieder kennengelernt habe, mit den Eltern allein fortzusetzen, – womit wir ja den Symptomträger immer schon entlasten, weil er erlebt, dass die Verantwortlichen an die Arbeit gebeten werden – wenn ich also mit den Eltern allein bin, frage ich häufig danach, wann sie eigentlich den Spaß an ihren Kindern/ihrem Kind verloren haben; wann sie als Paar aufgehört haben, miteinander zu lachen – das ist in meinen Augen nämlich, bevor die erotische Beziehung der Partner zu Grabe getragen wurde, das erste und grundlegende Problem – und ich frage sie einzeln, wann sie aufgehört haben, an sich selbst Spaß zu haben. Meiner therapeutischen Arbeit lege ich stets eine notwendige Heiterkeit zugrunde, und ich meine mit notwendig genau das, was das Wort sagt. Wir können Not wenden, wenn es uns gelingt, den Ratsuchenden zu heilender Distanz durch Heiterkeit zu verhelfen. Und wie gesagt: Humor ist der Schatz, den die meisten Menschen in sich tragen, also stets bei sich haben wie einen Werkzeugkasten. Mit Humor können wir uns selbst der Schlüsseldienst sein und Erste Hilfe leisten, wenn es gerade wieder eng wird.

Und das meine ich damit, wenn ich sage der/die BeraterIn sollte selbst eine Praktizierende sein:
Während wir andere Menschen beraten, sind wir immer gleichzeitig Menschen, die in ihrem eigenen Leben herausgefordert sind. Und wir sind klug beraten, wenn wir die Hilfestellungen, die wir anderen als probates Mittel zur Verfügung stellen, eben auch selbst anwenden.

Literaturhinweise

Wild B (Hrsg) (2016) Humor in der Psychiatrie. 2. Aufl. Schattauer, Stuttgart

Referent:in

Cordula Stratmann
Dipl.-Sozialarbeiterin, Syst. Familientherapeutin, Komikerin

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